Über 600 Millionen Menschen in Europa sind nach Angaben von Atomkritikern gesundheitlich von der Katastrophe in Tschernobyl betroffen. Das geht aus einer Veröffentlichung der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) und der Gesellschaft für Strahlenschutz (GfS) hervor, die am Freitag zu Beginn eines Tschernobyl-Kongresses in Berlin vorgestellt wurde. Darin wurden mehrere Studien zu den Folgen des Unglücks vor 25 Jahren zusammengefasst. Es handele sich dabei um „methodisch saubere und prinzipiell nachvollziehbare Analysen“, heißt es in dem Bericht.

Am meisten leiden demnach die Aufräumarbeiter: Bis 2005 seien von 830.000 der sogenannten Liquidatoren zwischen 112.000 und 125.000 gestorben. Über 90 Prozent seien heute schwer krank. Sie würden nicht nur an Krebs leiden, sondern auch an hirnorganischen Schäden, Bluthochdruck und Magen-Darm-Erkrankungen. „Das sind Menschen, die multimorbide sind“, sagte IPPNW-Mitglied Angelika Claußen. Die Ärztin spricht zudem von einem „erheblichen Anstieg“ von Tot- und Fehlgeburten infolge der Katastrophe.

Vor allem Kinder würden durch die Ansammlung der radioaktiven Stoffe in einigen Organen an Schilddrüsenkrebs erkranken. Viele der bösartigen Tumore würden zudem erst Jahre später entdeckt. Die Organisation bezieht sich hierbei auf eine Untersuchung von 2007, in der berechnet wurde, dass durch Tschernobyl bis 2056 knapp 240.000 zusätzliche Krebsfälle in Europa auftreten werden.

Am 26. April 1986 war es im Kernkraftwerk Tschernobyl aufgrund von Bedienungsfehlern und Sicherheitsmängeln zu einem schweren Unfall gekommen, in dessen Folge sich eine radioaktive Wolke über weite Teile Europas ausbreitete. Die Angaben zu den gesundheitlichen Folgen und Opferzahlen der Katastrophe schwanken extrem – sie sind eine Definitions- und Glaubensfrage. Auch die IPPNW geben an, dass das bisherige Wissen einem Mosaik gleiche, dem viele Steine fehlten.

wat/dpa