Das Abschalten alter Atromkraftwerke, Spekulationen über Stromausfälle und der Ruf nach einem schnellen Netzausbau für Ökostrom haben die Debatte über höhere Strompreise weiter angeheizt. Die Atomkatastrophe in Japan führte offensichtlich zu einem Bewusstseinswandel beim Verbraucher. Eine Mehrheit würde nach einer Umfrage höhere Strompreise in Kauf nehmen, wenn bei der Produktion auf Atomanlagen verzichtet würde.
Eon-Chef <EOAN.ETR> Johannes Teyssen sagte dem Magazin „Der Spiegel“, es werde schon jetzt äußerst schwer, das Stromnetz stabil zu halten. Noch weitreichendere Maßnahmen wie der teils geforderte komplette Ausstieg aus der Atomkraft seien „überhaupt nicht zu verkraften“. Teyssen wies auf Mängel im Stromnetz hin. Es fehle an Leitungen vom Norden, wo Windstrom produziert wird, in den Süden, wo durch die Abschaltung Kapazitäten wegfielen. „Dies kann zu massiven Problemen bis hin zu Stromausfällen führen.“ Darauf habe man auch das Bundeswirtschaftsministerium hingewiesen, sagte der Eon-Manager.
Die FDP und ihr Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) wollen den Ausbau neuer Stromtrassen forcieren. Wie „Bild.de“ berichtete, will Brüderle dazu am kommenden Montag ein Gesetz vorlegen, das einen wesentlich schnelleren Ausbau der Stromnetze für Energie aus Biomasse, Erdwärme, Wind, Solar und Wasser vorsehe als bisher. Neue Trassen für Öko-Strom sollen demnach nicht mehr mit juristischen Verfahrenstricks verhindert werden können.
Kernpunkt des neuen Gesetzes sei ein Bundesnetzplan: Darin würden die notwendigen Trassenkorridore bundesweit ausgewiesen und für den Bau von Hochspannungsleitungen reserviert. Der „Flickenteppich“ bei den Genehmigungen aufgrund von Länderzuständigkeiten werde abgeschafft. Gemeinden müssten den Leitungsausbau „im Interesse des Gemeinwohls“ hinnehmen. Die unterschiedlichen Genehmigungsformate für Freileitungen und Erdkabel sollen vereinfacht werden.
Der bayerische Umweltminister Markus Söder (CSU) forderte im Magazin „Focus“ ein Programm zum Ausbau der erneuerbaren Energien mit einem Volumen von sechs Milliarden Euro. Ein Drittel der Summe solle in die Entwicklung von Speichertechnologien fließen, eine weitere Milliarde in den Ausbau regionaler Verteilnetze und eine Milliarde in denn beschleunigten Bau von Stromtrassen, um Offshore-Windstrom von der Küste in Ballungszentren zu transportieren.
Am Freitag waren die alten Atommeiler in Deutschland vom Netz genommen worden. Sie sollen angesichts der Katastrophe von Japan einer zusätzlichen Sicherheitsüberprüfung unterzogen werden. Teyssen verteidigte im „Focus“ die von der Bundesregierung beschlossene Verlängerung der Laufzeiten für Atomkraftwerke. Die Branche wolle das Vertrauen der Menschen in die Technologie neu gewinnen.
Laut „Spiegel“ könnte sich die Lage Ende März verschärfen. Dann gehe mit dem bayerischen Atomkraftwerk Grafenrheinfeld ein achter Atommeiler vom Netz. In der Eon-Anlage war bereits vor Monaten ein möglicher Riss in einer Kühlleitung im Reaktorkern diagnostiziert worden. Nun soll das entsprechende Teil ausgetauscht werden.
Der Chef der Wirtschaftsweisen, Wolfgang Franz, riet Verbrauchern, sich auf „spürbar höhere Strompreise“ einzustellen. „Die Terminkurse an der Leipziger Strombörse sind bereits deutlich gestiegen“, sagte er der „Rheinischen Post“ (Samstag). Die Börse reagiere damit auf die energiepolitische Kehrtwende der Bundesregierung.
Dagegen rechtfertigt das Abschalten alter AKW nach Einschätzung des Umweltbundesamts keine Strompreiserhöhungen. Deutschland werde seinen Strombedarf ohne Importe decken können, sagte der Präsident der Behörde, Jochen Flasbarth, im Deutschlandradio Kultur.
Nach Berechnungen des Darmstädter Öko-Instituts haben die Betreiber genügend Geld für den Atomausstieg zurückgelegt. Wie der Instituts-Experte Mathias Steinhoff im „Focus“ sagte, kostet der Rückbau eines Kraftwerks etwa 750 Millionen Euro. Demnach würde der Rückbau der sieben Meiler rund fünf Milliarden kosten. Dafür reichten die Rückstellungen aus. Der Abbau könne bis zu 20 Jahre dauern.
Der Präsident der Bundesnetzagentur, Matthias Kurth, widersprach im „Focus“ Überlegungen, Deutschland könne Importstrom von ausländischen Kernkraftwerken verhindern. Jedoch wurde deutlich, dass Deutschland per Saldo Stromexporteur ist. 2010 wurden 42 Milliarden Kilowattstunden im- und 59 Milliarden Kilowattstunden exportiert.
Nach einer Emnid-Umfrage für „Focus“ würden mehr als zwei Drittel der Bürger (69 Prozent) höhere Stromrechnungen in Kauf nehmen, wenn der Strom nicht mehr aus Kernenergie stammt. Das Institut Emnid befragte am 16. und 17. März 1000 repräsentativ ausgewählte Personen.