Stillstand von Atommeilern entfacht Strompreis-Debatte

Das zumindest vorläufige Aus für sieben Atomkraftwerke in Deutschland hat eine neue Diskussion über die Entwicklung der Strompreise entfacht. Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) befürchtet, dass auf die Verbraucher neue Lasten zukommen. Er erwarte tendenziell steigende Preise, sagte der FDP-Politiker am Dienstag in Berlin. Nach Ansicht von Verbraucherschützern dagegen ist ein Ausstieg aus der Kernenergie auch ohne kräftigen Preisanstieg möglich.

„Die Horrorszenarien über Energieknappheit und hohe Preise sind kein Naturgesetz“, sagte der Energieexperte der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen, Peter Blenkers, der dpa. Es komme auf die richtigen Rahmenbedingungen an. Die größte Quelle, die erschlossen werden müsse, sei die Energieeffzienz. Dazu zähle das Einsparen von Energie und der Ersatz alter Technik. Die Kraftwärmekopplung, bei der Strom und Wärme gleichzeitig erzeugt wird, sollte wieder mit im Fokus stehen. Außerdem müssten die Fördergelder für erneuerbare Energien gezielter eingesetzt werden. Der Ausbau von Solarstrom sei in den vergangenen Jahren zu stürmisch erfolgt. Dies habe zum Anstieg der Stromkosten beigetragen.

Auch der Energieexperte Uwe Leprich von der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Saarbrücken sieht kurzfristig keine Auswirkungen auf die Verbraucherpreise. Allenfalls sei ein leichter Anstieg der Preise an den Strombörsen zu erwarten, sagte er. In der Regel decken sich Versorger ein bis zwei Jahre vorher an der Börse mit Strom ein.

Der Bund der Energieverbraucher verweist darauf, dass es derzeit sogar ein Überangebot gibt. „Wir haben ohnehin zu viele Kraftwerke am Netz“, sagte der Vorsitzende Aribert Peters der dpa. Die Kraftwerkskapazitäten seien 2010 um 13,5 Gigawatt größer gewesen als die Stromnachfrage. Die ungenutzten Kapazitäten seien etwa doppelt so hoch wie die, die jetzt durch die Abschaltung von Atomkraftwerken verloren gingen. Allein die 2010 bundesweit neu gebauten Solarstromanlagen hätten eine Kapazität, die denen der sieben Kernkraftwerke entspreche.

„An der Strombörse gibt es ausreichend zusätzliche Angebote aus dem Bereich der erneuerbaren Energien, die strompreissenkend wirken“, unterstrich Peters. Ein schneller Atomausstieg würde zudem den Wettbewerb bei der Stromerzeugung verstärken und letztlich auch zu niedrigeren Strompreisen führen.

Das Internetvergleichsportal Verivox hält einen Preisanstieg zumindest an der Strombörse hingegen für unausweichlich. Der wachsende Anteil erneuerbarer Energien werde sich zwar preisdämpfend auswirken, könne aber den Anstieg der Börsenpreise nicht vollständig ausgleichen, betonte Verivox-Sprecher Jürgen Scheurer. Allerdings müssten steigende Börsenpreise nicht unmittelbar zu höheren Verbraucherpreisen führen.

Auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) schließt nicht aus, dass mittelfristig höhere Preise auf die Verbraucher zukommen. Kurzfristig könnten bis zu vier oder fünf Kernreaktoren vom Netz genommen werden, das entspreche dem Überschuss an Strom in Deutschland, sagte DIW-Expertin Claudia Kemfert in Berlin. „Dies ändert sich jedoch im kommenden Jahrzehnt, da viele alte Kohlekraftwerke vom Netz gehen.“ Ein früheres Abschalten der Kernkraftwerke müsste durch einen Zubau von Kohlekraftwerken kompensiert werden. Somit würden die Kohlendioxid-Emissionen (CO2) steigen – und damit auch die Preise für den Ausstoß des klimaschädlichen Gases: „Das würde die Strompreise tendenziell steigen lassen“, sagte Kemfert.

RWE-Chef <RWE.ETR> Jürgen Großmann warnte in einem Interview der Wochenzeitung „Die Zeit“ vor den Kosten eines Atomausstiegs. Die Gesellschaft müsse anerkennen, „dass man in einem Industrieland nicht einfach so auf Kohle und Kernenergie verzichten kann, wenn man Wohlstand und Versorgungssicherheit erhalten will“, sagte er. Es sei zwar „richtig, auf Erneuerbare zu setzen und sie auszubauen, aber man muss wissen, welchen Preis man dafür bezahlen will. Billige Energie und gleichzeitig ein kompletter Umbau der Stromversorgung sind eine Illusion“, sagte er.