Solarstrom trifft Landwirtschaft – ein unterschätzter Gamechanger? Eine neue Studie des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE zeigt: Agri-Photovoltaik – also die Kombination von Landwirtschaft und Solarenergie – könnte Deutschlands gesamte Solar-Ausbauziele um ein Vielfaches übertreffen.

Allein auf geeigneten landwirtschaftlichen Flächen wären laut Studie bis zu 500 Gigawatt installierbare Leistung realistisch – deutlich mehr als die von der Bundesregierung angestrebten 215 Gigawatt bis 2040.

Kritik: Trotz dieses enormen Potenzials spielt Agri-Photovoltaik im politischen Diskurs und in der Ausbaupraxis bislang nur eine Nebenrolle. Warum wird diese klimapolitisch relevante Technologie noch immer stiefmütterlich behandelt?

Zwei Szenarien, ein Ergebnis: Potenzial weit über Bedarf

Die Forscherinnen und Forscher analysierten mithilfe geographischer Informationssysteme sämtliche landwirtschaftlich nutzbaren Flächen – vom Acker bis zum Weinberg. In zwei Szenarien wurde das Potenzial ermittelt:

Szenario 1: Ausschluss nur harter Restriktionen → 7.900 Gigawatt Szenario 2: Zusätzliche Berücksichtigung weicher Restriktionen (z. B. Schutzgebiete) → 5.600 Gigawatt

Zum Vergleich: Um klimaneutral zu werden, braucht Deutschland laut dena-Leitstudie bis 2045 etwa 1.000 Gigawatt installierte PV-Kapazität.

Potenzial für ClimateTech-Startups und Energieversorger

Gerade für ClimateTech- und Greentech-Startups eröffnet Agri-Photovoltaik große Chancen. Unternehmen wie Next2Sun oder SunFarming zeigen, wie technische Lösungen für doppelte Flächennutzung – Energieerzeugung und Nahrungsmittelproduktion – aussehen können.

Auch EIT InnoEnergy unterstützt Startups, die in diesem Feld skalieren wollen.

Kritikpunkt: Die Rahmenbedingungen hinken hinterher. Es fehlt an regulatorischer Klarheit, klaren Genehmigungsprozessen und insbesondere an Netzinfrastruktur – was in vielen Regionen den Ausbau faktisch blockiert.

Lokale Studien zeigen konkrete Umsetzbarkeit

Am Beispiel der Region Hamburg untersuchte das Fraunhofer ISE das konkrete Umsetzungspotenzial. Im Alten Land und den Vier- und Marschlanden seien bis zu 620 Hektar landwirtschaftliche Fläche optimal geeignet, dazu 160 Hektar Gewächshausdächer mit bis zu 50 Megawatt installierbarer Leistung.

Auch im Landkreis Ahrweiler oder dem Breisgau-Hochschwarzwald könnten Agri-PV-Anlagen laut Studie bis zu 16 % des regionalen Energiebedarfs decken – sofern der Netzausbau mithält.

Kritik: Genau hier liegt das Nadelöhr. Ohne schnelleren und strategischen Ausbau der Stromnetze – besonders im ländlichen Raum – bleibt ein Großteil des Potenzials ungenutzt. Das bestätigt auch der Bundesverband Neue Energiewirtschaft (bne).

Politischer Handlungsbedarf – jetzt

Die Studien liefern eine belastbare Datengrundlage – für die Politik, für Netzbetreiber und für Investoren. Agri-Photovoltaik kann Landnutzungskonflikte entschärfen, ländliche Regionen stärken und zur Klimaneutralität beitragen.

Organisationen wie das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) oder das IASS Potsdam fordern schon länger, Solarenergie systemisch in Agrar- und Flächenpolitik zu integrieren.

Es braucht jetzt klare politische Weichenstellungen – etwa durch einen eigenen Förderrahmen für Agri-PV im Rahmen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG), schnellere Genehmigungsverfahren sowie ein bundesweites Ausbauziel für Agri-Photovoltaik.

Fazit: Greentech beginnt auf dem Acker – wenn man es will

Agri-Photovoltaik ist kein Nischenthema, sondern ein zentrales Element für eine nachhaltige Energiezukunft. Die Technologie ist einsatzbereit, das Know-how vorhanden, erste Projekte erfolgreich – doch politische und infrastrukturelle Hürden verhindern den Durchbruch.

Für Startups im Bereich ClimateTech und Greentech, für Landwirt:innen, Netzbetreiber und Investoren ist jetzt der richtige Zeitpunkt, gemeinsam Druck auf die Politik auszuüben – und Potenziale in konkrete Projekte zu überführen.


Verlinkte Quellen & Organisationen:

Fraunhofer ISE: Agri-PV-Studie Next2Sun SunFarming GmbH bne – Bundesverband Neue Energiewirtschaft EIT InnoEnergy – ClimateTech-Förderung dena-Leitstudie zur Energiewende DLR – Energie und Landwirtschaft IASS Potsdam – Nachhaltige Landnutzung