Frühlingsstürme Steilküsten
Der Geschiebemergel-Klumpen am Fuß der Steilküste von Rerik in Mecklenburg-Vorpommern ist so groß, dass ihn drei Mann nicht umfassen könnten. «Das muss ganz schön gerumst haben, als der runtergekommen ist», sagt Geologe Karsten Schütze und schaut auf die zehn Meter hohe Abbruchstelle an der Steilküste. Der ganze Strandabschnitt Richtung Meschendorf ist gezeichnet vom Küstenabbruch. Nach dem langen Winter mit Schnee und Eis, dem schnellen Temperaturwechsel und mit den beginnenden Frühjahrsstürmen kommen wie hier an vielen anderen Steilküsten der Ostseeküste Erdmassen ins Rutschen.

«Der Winter hat seine Wirkung gezeigt. Bisher haben wir aber immer kleine Abbrüche, kein Vergleich zu denen an den Wissower Klinken 2005», sagt Schütze, während er die frische Abbruchstelle vermisst und kartiert. Der Strand sei hier sehr schmal, die Brandung schlage schnell bis an den Fuß des Kliffs, erklärt der Geologe. «Hier hat sich dann vermutlich eine Hohlkehle gebildet, über der der Boden nachgegeben hat», vermutet der Experte des Landesamtes für Umwelt, Naturschutz und Geologie.

Mehr als ein Dutzend bis zu 100 Kubikmeter große Abbruchstücke der Steilküste werden vom Geologen-Team vor Rerik begutachtet und das entlang eines nur zwei Kilometer langen Strandabschnittes. Auch im vergangenen Jahr sei vor Rerik einiges heruntergekommen, bestätigt die Leiterin des zuständigen Amtes Neubukow-Salzhaff, Iris-Maria Mazewitsch. In Rerik-Meschendorf habe sich die Abbruchkante mittlerweile bis zum Zeltplatz «vorgearbeitet». «Das kann gefährlich werden», sagt die Behördenleiterin.

Auf dem Campingplatz verhindert bisher lediglich ein Bretterzaun, dass jemand einen Schritt zu weit geht. «Die Schutzzone müssen wir auf 10 bis 15 Meter vergrößern», sagt Mazewitsch. «Lange Jahre ging es, dass die Zelte so dicht standen, aber jetzt ist die Steilküste innerhalb kurzer Zeit doch sehr ausgespült. Das kann keiner mehr verantworten.»

Ein Schutz der Reriker Steilküste von der Seeseite her sei nicht möglich, sagt Iris-Maria Mazewitsch. Auch nach Ansicht von Schütze macht das keinen Sinn. «Ein Drittel der Außenküste von Mecklenburg-Vorpommern ist Steilküste. Im Schnitt geht die Küstenlinie um 30 Zentimeter pro Jahr zurück, an manchen Stellen wie in der Rostocker Heide sogar um einen Meter.» Diesen Prozess aufhalten zu wollen, wäre ein aussichtsloser Kampf gegen Naturgewalten. «Eigentlich müsste sich der Mensch mit seiner Küstennutzung quasi nach hinten bewegen, ins Binnenland.»

Um den Kommunen mehr Planungssicherheit zu geben, arbeiten die Geologen an einem sogenannten Geogefahrenkataster. Dort werden aktive und inaktive Kliffs eingetragen, je nachdem, ob die Steilwände bis zum Boden bewachsen sind und dadurch dem Wasser besser standhalten. Von gefährdeten Küstenabschnitten werden Boden- und Gesteinsproben genommen, um so die Wahrscheinlichkeit von Abbrüchen besser einschätzen zu können. Kreideküsten zum Beispiel würden eher ausgewaschen oder von gefrierenden Wassereinschlüssen abgesprengt, sagt Schütze.

An der Reriker Steilküste wirkt eher die Schwerkraft, wenn ausgehöhlte Küstenabschnitte keinen Halt mehr finden und abbrechen. «Manchmal deutet sich das an, wenn die Grasnarbe reißt. Mitunter wird die Küste auch vom Hinterland ausgespült, beispielsweise durch Quellaustritte oder Drainagesysteme von Feldern, die bis an die Seeseite reichen», sagt der Geologe. An einer Stelle in Rerik hat sich durch solch eine Ausspülung ein Loch in der Steilküste gebildet. Es hat einen Durchmesser von einem Meter und sieht aus, wie exakt mit einem Zirkel gezeichnet. Der Wanderweg genau oberhalb der Steilküste könnte durch die Ausspülung von etwa 25 Kubikmeter Sand gefährdet sein.

«Deshalb sehen wir uns auch die Hochuferwege an, wenn wir die Gefahrzonen kartieren», erklärt Schütze. Die für die Verkehrssicherung zuständigen Kommunen müssten dann selbst entscheiden, ob sie bestimmte Zonen sperren. «In der Regel bringt das aber nichts. Die Leute gehen dann noch neugieriger an die gefährlichen Stellen heran», haben Schütze und seine Kollegen beobachtet. «Dann findet man sofort wilde Trampelpfade, womöglich noch direkt die Steilküste hinunter, was man eigentlich verhindern will.» Für den Geologen verbietet es schon der gesunde Menschenverstand, sich zu dicht an Steilküsten zu bewegen.

[TechFieber Green/mei/ddp] [Photo ]

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