Gravierende Schwachstellen: Studie warnt vor über 200 Sicherheits-Defiziten im AKW BiblisBiblis ist und bleibt ein Sonderfall in der Diskussion um längere Laufzeiten für Atomkraftwerke. Reaktorblock Biblis A, seit 1974 am Netz, ist Deutschlands ältester Atommeiler, Biblis B ist nur zwei Jahre jünger. Die beiden Druckwasserreaktoren am südhessischen Ufer des Rheins haben eine lange Geschichte von Pannen.

Laut dem vereinbarten Atomausstieg hätte Biblis A 2009 vom Netz gehen sollen, Biblis B 2010, doch lange Stillstände und die Übertragung von Reststrommengen retteten beide Blöcke in die Laufzeitverlängerung. Bis 2020 sollen sie Strom liefern dürfen.

Derzeit laufen Beratungen zwischen dem Bund und dem Land Hessen sowie zwischen dem Land und dem Betreiber RWE, welche Nachrüstungen in Sicherheitstechnik dafür notwendig sind. Kernkraftgegner und die Opposition im hessischen Landtag befürchten, dass eine Billiglösung herauskommt. Sie halten die Meiler generell für unsicher.

„Biblis ist sicher“, verkünden dagegen die hessische Umweltministerin Lucia Puttrich (CDU) und die in ihrem Ministerium angesiedelte Atomaufsicht. RWE verweist darauf, dass in Biblis in den letzten Jahren 1,4 Milliarden Euro in Sicherheit investiert wurden.

Auf alle Fälle will Puttrich Auflagen für besseren Arbeitsschutz machen, Handgriffe der Bedienungsmannschaft sollen automatisiert werden. Dies deckt sich mit einem Papier des Bundesumweltministeriums (BMU) von Anfang September über sicherheitstechnische Anforderungen bei einer längeren Laufzeit.

Passagen daraus lassen sich auf Biblis beziehen. Auch dieses Papier fordert eine „Optimierung der Betriebsführung“. Ein Beispiel für die Umstellung von Handbetrieb auf Automatik wäre das „sekundärseitige Abfahren mit 100 K/h“ (Kelvin/Stunde) des Reaktors bei kleinen Lecks. Dies soll kurzfristig umgesetzt werden.

Mittel- und langfristig sieht das Papier für Druckwasserreaktoren unter anderem ein zusätzliches Boriersystem vor – dem Kühlwasser muss genügend Bor zugesetzt werden, um die Kettenreaktion zu stoppen. Doch mittelfristig bedeutet in der Kraftwerkstechnik: Etwa zwei Jahre Planung, dann zwei Jahre Genehmigung und anschließend eine längere Bauzeit. Da gerät man bei Biblis schon wieder dicht an die geplante Abschaltgrenze von 2020.

Und solche Maßnahmen gehören, wenn sie kommen, noch zum Bereich „Erhöhung der bestehenden Sicherheitsreserven“. An der Sicherheitsarchitektur ändere sich nichts, sagt der Experte Wolfgang Renneberg, der unter der rot-grünen Bundesregierung im BMU die Atomaufsicht leitete. Grundlegende Umbauten listet das Papier seiner Nachfolger nur unter Priorität zwei auf – und wieder unter mittel- bis langfristig.

Dazu zählt zum Beispiel die Sicherheit von Leitungen, damit sie bei Lecks einander nicht durch Wasserdampf zerstören. Biblis A schaffe dabei den Stand der Technik nicht, sagt Renneberg. Doch es sei unwahrscheinlich, dass dieser Punkt ins Programm aufgenommen wird: „Alles, was etwas bringt, wird unter Vorbehalt gestellt oder zeitlich nach hinten geschoben.“

Was technisch notwendig sei, werde in Biblis verlangt – und zwar unabhängig von den Kosten, verspricht Puttrich dagegen. Wenn die Nachrüstung den Betreiber mehr als 500 Millionen Euro für einen Reaktor kostet, verringert sich die Einzahlung in den Ökofonds der Bundesregierung.

Es soll allerdings in Biblis A einiges nachgerüstet werden, wenn der Block von Mitte bis Ende 2011 für eine Revision stillsteht. Dabei sind auch die letzten der sogenannten Weimar-Auflagen zu erfüllen. Der Umweltminister Karlheinz Weimar (CDU) hatte sie schon 1991 verhängt nach einem Zwischenfall von 1987.

Zwei Hauptkritikpunkte der Opposition an Biblis werden in dem BMU- Papier nicht aufgegriffen. Eine externe Notstandswarte, von der aus die Blöcke gesteuert und mit Kühlmittel versorgt werden können, wird es nicht geben. „Wir haben ein System, dass jeweils ein Block den anderen stützt“, sagt eine RWE-Sprecherin. Die hessische Atomaufsicht sieht es genauso. Die atomkritischen Grünen bleiben auch dabei, dass Biblis nicht gegen einen Flugzeugabsturz gesichert sei.

[Foto theremix/cc]

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