Die Drohung der Kernkraftwerksbetreiber, bei einem Festhalten der Regierung an der Brennelementesteuer sofort Atommeiler stillzulegen, stößt in Berlin auf Verwunderung. Weshalb die AKW- Betreiber jetzt mit dem Abschalten von Anlagen drohten, die nach geltendem Recht sowieso abgeschaltet werden sollten, „ist mir schleierhaft“, sagte die Energieexpertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Claudia Kemfert am Sonntag. Auch Greenpeace sprach von einer „leeren Drohung“. Grünen-Fraktionschefin Renate Künast freute sich: „Endlich mal eine Drohung, vor der man keine Angst haben muss! Im Gegenteil: Hoffentlich tun sie’s!“

Die Konzerne RWE , Eon , EnBW und Vattenfall verhandeln derzeit mit Finanzstaatssekretär Werner Gatzer darüber, ob sie im Gegenzug für die verlängerte Laufzeit der Atomkraftwerke statt der geplanten Brennelementesteuer von jährlich 2,3 Milliarden Euro auch vertraglich vereinbarte Zahlungen leisten können.

Nach einem Bericht des Magazins „Der Spiegel“ haben die Vertreter der Konzerne in den Verhandlungen erklärt, wenn die geplante Brennelementesteuer komme und Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) strikte Auflagen verordne, lohne sich der Weiterbetrieb zahlreicher Anlagen nicht mehr. In diesem Fall sähen sich die Energiekonzerne gezwungen, die Meiler vorzeitig abzuschalten. Bei Bedarf würden sie dann Atomstrom im Ausland zukaufen, kündigten sie an. Die Konzerne denken auch an Klagen gegen eine Atomsteuer.

Die Unternehmen sollen der Bundesregierung für zwölf zusätzliche Jahre Laufzeit bis zu 30 Milliarden Euro angeboten haben. Die Vorstandschefs der vier Konzerne lehnten in einem gemeinsamen Gespräch mit der „Bild“-Zeitung (Montag) eine Brennelementesteuer erneut ab. RWE-Chef Jürgen Großmann sagte: „Wir schlagen vor, dass wir von den zusätzlichen Gewinnen aus einer Laufzeitverlängerung durch die Kernkraftwerke die Hälfte an den Staat abgeben.“ In Bezug auf die Laufzeitverlängerung forderte Eon-Chef Johannes Teyssen „eine satte zweistellige Zahl zusätzlicher Jahre, mindestens aber 15 Jahre“.

Eine RWE-Sprecherin kommentierte den „Spiegel“-Bericht auf Anfrage mit den Worten, es sei „völlig legitim, in solchen Verhandlungen auf mögliche negative Folgen hinzuweisen“. Zu der angeblichen Drohung wollte sie sich nicht konkret äußern: „Wir verhandeln, wir drohen nicht.“

DIW-Energieexpertin Kemfert sagte am Sonntag im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa, offensichtlich wollten die Konzerne Druck auf die Regierung aufbauen, um die Brennelementesteuer noch irgendwie zu verhindern. Diese Taktik könne sich als Eigentor entpuppen. Auch die Drohung, dass bei einem Abschalten deutscher Anlagen weiterer Atomstrom aus dem Ausland zugekauft werden müsse, zieht Kemfert zufolge nicht: „Die Möglichkeit des Zukaufs ist wegen unzureichender Leitungskapazitäten ohnehin begrenzt.“

Die Umweltorganisation Greenpeace erklärte unter Berufung auf Berechnungen des Aachener Instituts EUtech, auch ohne die sieben ältesten Meiler und den derzeit abgeschalteten Pannenreaktor Krümmel werde es keinen Strommangel geben. Die Werke trügen nur noch zu 5,4 Prozent zur Versorgung bei. Die übrigen neun moderneren Atommeiler könnten bis zum Jahr 2015 abgeschaltet werden. Nach den Greenpeace- Zahlen exportiert Deutschland zudem knapp die Hälfte der von den acht sofort abschaltbaren Atomkraftwerken produzierten Strommenge ins Ausland.

Das Umweltministerium sieht den Vertrags-Vorschlag der Energieunternehmen nach einem Bericht der „Frankfurter Rundschau“ (Samstag) skeptisch. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) finde die Idee dagegen attraktiv, weil sie ihm Einnahmen sichere. Auch für Kanzlerin Angela Merkel (CDU) habe die Idee einen gewissen Charme, weil sie „Rechtssicherheit“ böte.

Grünen-Chefin Claudia Roth, reagierte empört. „Ein solcher Vertrag ist die vorgebaute Entrechtung eines neuen Gesetzgebers“, erklärte sie am Sonntag. „Unverantwortbar wären künftige Sicherheitsgefahren und die Folgen für den Strommarkt, wenn sich diese Bundesregierung bestechlich zeigt und es wagt, den Vertrag mit der Atomlobby zu schließen.“ Grünen-Fraktionschefin Künast kritisierte in den „Ruhr Nachrichten“ (Samstag): „Hier geht es um ein schmutziges Geschäft: Milliarden gegen Laufzeiten, Geld gegen den Wiedereinstieg in eine gefährliche Technologie.“ Sie kündigte „einen heißen Herbst“ an.

SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier warnte in der „FR“: „Es droht eine energiepolitische Irrfahrt und eine undemokratische Festlegung zukünftiger Mehrheiten.“ Als Alternative zur Brennelementesteuer plädierte Baden-Württembergs CDU-Fraktionschef Peter Hauk für die Einrichtung eines gemeinsamen Fonds für Bund und Länder, in den die zusätzlichen Gewinne aus den längeren Reaktorlaufzeiten fließen könnten. Ein Teil des Geldes könne zur Sanierung des Bundeshaushaltes entnommen werden; mindestens die Hälfte sollten die Länder zum Ausbau erneuerbarer Energien erhalten, sagte er der dpa.

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